Was für ein Tag. Heute sind wir von Shillong nach Guwahati gefahren, von dort startet am Freitag unser Flug in den Süden. Hier gab es in den vergangenen Tage heftige Proteste wegen eines neuen Einwanderungsgesetzes, Daniel hat einen Eintrag dazu geschrieben. Keiner weiß aber so richtig, wo und wann wieder ein Bandh (so heißen die Demos hier) sein wird. Wir wussten lediglich, dass in Guwahati im Innenstadtbereich vor zwei Tagen Autos angezündet wurden, dass es eine Ausgangssperre gab und heute das mobile Internet gesperrt ist.
Die Straße wurde immer leerer
Wir sind zunächst gut durchgekommen, doch etwa zehn Kilometer vor Guwahati wurden die Straßen immer leerer, was uns beunruhigte. Schließlich standen am National Highway (NH6) Kolonnen von LKWs am Rand. Die Straße war nun nahezu leer, mehrmals hielten wir an. Keiner verstand uns, hier wird Assamese gesprochen. Dann tauchte ein Touristentaxi auf, dem wir hinterher sind. Immer wieder säumte Militär mit Gewehren und Schutzschildern den Straßenrand, das uns aber durchwinkte.
Schluss an einer Straßenbarrikade
Doch etwa vier Kilometer vor unserer Unterkunft war Schluss. Rund 100 Meter vor uns war eine riesige Rauchsäule als Straßenbarrikade zu sehen. Das Touristentaxi hielt an. Ein junger Inder kam heraus, der zum Glück auch englisch sprach. Er redete mit dem Militär vor uns. Plötzlich hörten wir mehrmals einen lauten Knall. Vorne sah man Menschen große Steine auf Autos werfen. Das Militär sprach hastig mit dem Inder, der uns andeutete, ihm zu folgen. Auf dem Highway ging es entgegen der Fahrtrichtung zurück zu einer nahegelegenen Polizeistation.
Von dort konnte man gut die Rauchsäulen sehen. Neben uns standen überall Militärfahrzeuge sowie Polizei. Naira von hinten „ich muss auf Klo“ und dann “Darf ich eine Schokolade?“. Beruhigend, dass sie jetzt so etwas fragt. Die Straßen waren menschenleer, einfach nur gespenstisch.
Dann hörte man einen Militärhubschrauber, der sehr tief über uns hinwegkreiste. Die Kinder staunten. So tief und laut hatten sie noch keinen Militärhubschrauber gesehen. Daniel telefonierte mit dem besorgten Mietwagenbesitzer und mit dem Vermieter unserer Unterkunft in Guwahati. Der wiederum hatte ein längeres Telefonat mit der Polizei und sagte schließlich, er versucht zu uns zu kommen. Wir warteten nun im Auto. Dann der Anruf von dem Besitzer unseres Apartments, dass er mit dem Auto nicht durchkommt. Er schickt seinen Sohn mit einem Motorrad.
Die vermeintlich sichere Polizeistation
Wir standen die ganze Zeit am Rand der Straße, also des Highways, weil die Polizeistation zuvor mit Militärfahrzeugen zugeparkt war. Daniel wollte nun etwas dichter an die Polizeistation heranfahren, weil es ihm hier am Rand in exponierter Lage zu heikel wurde. Als wir näher ranfuhren, bemerkte ich erst, dass die Autos, die hier standen, stark beschädigt waren. Teilweise war die ganze Vorderfront zerstört, die Scheiben eingeschlagen. Überall lagen Scherben auf dem Boden. Und hier soll es sicher sein?
Dann kam ein junger Mann „You are from Germany? I come from the owner, follow me”. Er sprach noch mit einem Polizisten, der von der Idee gar nicht so begeistert schien. Schließlich stimmte der Polizist aber zu. Der Motorradfahrer versprach, uns sicher zum Apartment zu bringen und wir vertrauten ihm. Wir sollten ihm hundert Meter hinterher folgen. Wenn er mit seiner Hand Stopp zeigt, dann sollen wir stoppen. Wenn er winkt, dann sollen wir folgen. Los ging es also. Zunächst vorbei an vielen demolierten Autos am Rande der Straße der Polizeistation, dabei waren auch einige völlig ausgebrannte Autos. „Boah“, sagten die Kinder staunend. Mir wäre es am liebsten gewesen, sie würden die Augen schließen.
Die Fahrt durch die Proteste
Wir fuhren also unseren Motorradfahrer hinterher. Dann kam direkt die erste Absperrung, eine Rauchsäule, drumherum standen Männer. Der Motorradfahrer redete mit ihnen, wir durften passieren. Knapp vorbei an der brennenden Straßensperre. Es war uns überhaupt nicht geheuer. Dann die nächste Absperrung. Der Motorradfahrer fuhr vor, sprach wieder mit den Männern an der Straßenbarrikade. Diesmal war es aber nicht so einfach. Wir standen etwa 100 Meter hinter ihm und auf uns steuerten andere Männer zu, ein paar Motorradfahrer stellten sich demonstrativ vor und neben uns. Doch dann kam der Motorradfahrer wieder zurück und die Männer ließen uns durch. Mit den Reifen sind wir diesmal über die Asche gefahren. Ich bedankte mich nur bei den Männern, Hände vor der Brust verschränkt. Mensch, mein Herz pochte. Sie lachten diesmal fröhlich. So sehen hier also die Demonstranten aus, Männer zwischen 20 und 40, englischsprechend. Es sind wohl viele Studenten dabei.
Im dichten Nebel der Rauchwolken hier ging es weiter bis zur nächsten Absperrung. Dort wurden wir nicht durchgelassen und auch nach Verhandlungen unseres Motorradfahrers nicht. Er sagte, wir sollen drehen, er versucht einen anderen Weg. Ich hatte nur Angst. Marisa sagte: Ich habt uns versprochen, dass wir heil nach Hause kommen. Ja, das haben wir und ich war mir nach wie vor sicher, dass wir das tun. Ich hatte nur Bedenken, dass die Kinder hier Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und den Demonstranten sehen.
Der Motorradfahrer führte uns dann durch eine schmale Straße mit sehr vielen Schlaglöchern. Immer wieder gab es Feuer auf der Straße, der Motorradfahrer winkte uns aber durch. Irgendwann wurde es etwas ruhiger und man sah schon wieder Frauen und Kinder am Wegesrand, wie beruhigend. Zwischendurch dann wieder etwas größere Wege mit Barrikaden, keine war aber so schlimm wie die auf dem Highway, im „Hinterland“ schien es ruhiger zu sein. Irgendwann nach geschätzt 20 Minuten Fahrt erkannten wir unsere Unterkunft. Hinter uns im Auto war jetzt auch der Besitzer der Wohnung mit seiner Frau. Der Motorradfahrer war wohl sein Sohn. Sie hupten, damit jemand das Tor öffnete. Ohje mir fiel ein Stein vom Herzen. Daniel auch.
Wir waren der Familie so dankbar. Sie sagten uns noch, dass wir morgen früh zum Flughafen sicherlich durchkommen werden. Wir sollten nur bis Sonnenaufgang warten. Er sagte auch, dass die Menschen hier Respekt vor Ausländern haben. Wenn sie sehen, dass wir fremd sind, dann lassen sie uns durch. Wir sollen immer nur langsam zu den Absperrungen fahren, damit die Demonstranten eine Chance haben uns zu erkennen.
Danke Indien, dass es bei euch so hilfsbereite Menschen gibt!!
Ps: Der Artikel ist bis hierhin fast ohne Fotos. Wir würden es hier niemals wagen, Polizei, Militär oder die Demonstranten zu fotografieren.
Weiterfahrt am nächsten Morgen
Nach einer kurzen Nacht starten wir im Morgengrauen Richtung Flughafen. Die Straße, die vom Appartment wegführt, ist fast menschenleer. Lediglich einige Fußgänger sind unterwegs. Auf der nächsten Querstraße müssen wir dann Reste einer Barrikade umkurven.
Dann kommen wir zum Highway. Hier sind tatsächliche einige Autos und Motorräder unterwegs. Doch schon nach wenigen hundert Metern liegt eine Straßenlaterne quer über der Fahrbahn. Wir müssen auf die Gegenfahrbahn ausweichen und sind nun bis zur nächsten Lücke im Mittelstreifen als Geisterfahrer unterwegs.
Mehrmals kommen wir an Barrikaden vorbei. Große Steine, Stangen und Zäune vom Straßenrand liegen auf der Fahrbahn, einmal auch ein kompletter Baum. Zweimal ist die Fahrbahn komplett blockiert und wir müssen auf den Weg neben dem Highway ausweichen. Zum Glück kommen wir aber überall irgendwie durch, wenn auch teilweise nur im Slalom zwischen den Steinen.
Es sind aber tatsächlich viele Autos Richtung Flughafen unterwegs. An den Kreuzungen stehen Menschen, die scheinbar auf dem Weg zur Arbeit sind. Wir sehen keine Protestler und auch keine Polizei oder Militär. Alles wirkt friedlich und es scheint so, als würde ein wenig Normalität einkehren. Das schreibt uns auch später unser Autovermieter. Die Stadt hat das auch dringend nötig, nachdem zwei Tage alles geschlossen war, die Zeitungen schreiben, dass mehr als 3000 LKW vor der Stadt warten.
Im Flughafengebäude ist es sehr voll. Es gibt lange Schlangen an den Buchungsschaltern. Am Vortag haben hier wohl etliche Leute ihren Flug verpasst, weil sie nicht zum Flughafen kommen konnten. Einige Flüge wurden auch gestrichen. Viele Menschen lagern auch auf dem Boden. Unser Sitznachbar im Flugzeug ist wohl in der Nacht durch Guwahati, stand sechs Stunden vor eine Barrikade und ist letztlich mit einer Polizeiescorte zum Flughafen. Man kann nur hoffen, dass sie einen Kompromiss finden.
Als diese Info auf twitter erschien, waren wir schon im Flugzeug:
Hier Berichte über die Proteste: